Human Abfall – Isolationshaft in Stammheim

HUMAN ABFALL – 19.05.2016, Ostpol, Dresden

Hätte Ulrike Meinhof 1974 in Haft ein iPod nutzen können, hätte sie Human Abfall gehört. Ehrlich und zugleich düster platzen HA erneut mit ihrem neuen Album ‚Form und Zweck‘ in unsere eingefahrenen Alltags-Attitüden! Und in unseren Ostpol. Wie ein kleiner listiger Hexer lockte mich der wohl aussergewöhnlichste Frontmann, welchen ich bis dato kennenlernen durfte, hinein in seinen Kopf, in seine Gedanken. Er lud mich ein, genauer Hinzuhören, mir wieder mehr Gedanken zu machen, über das oft zitierte jetzt und hier. Dresden ’45, Täter Enkel!

Gebt ihm eine Stimme

Aber, lieber Ostpol, was war das für eine miserabele Soundeinstellung? Es war an diesem Abend die einzigste und wichtigste Aufgabe, welche es galt, zu bewältigen. Aber die Vocals von Flávio Bacon waren leider nur zu erahnen. Schade drum, das könnt ihr deutlich besser. Zum Glück kannte ich eine handvoll Songs bereits, so dass sich dieses Handicap im erträglichen Rahmen bewegte.

Die Vorband schleife ich mir hier, das tut mir auch sehr leid. Ich glaube, Human Abfall brauchen keine Vorband, sie würde alle samt im Schein selbiger verblassen. Zumindestens empfand ich es an diesem Abend so.

Stuttgarter Schule

Was Die Nerven an Kraft und Energie in ihrer Musik bereithalten, ich berichtete bereits an anderer Stelle, geben HA an Ohrfeigen weiter an Individuen, welche sich mit einfachen und ketzerischen Parolen durchs Leben philosophieren, statt einfach mal zu denken. Denken lernen Junge, denken! Insider wissen längst Bescheid, worauf ich hinaus will. Die Stuttgarter Schule treibt sich um und es ist ein gottverdammt geiles masochistisches Vergnügen, sich auf die verbale Folter einer Band einzulassen, welche in fast jedem Song gegen kontroverse Aussagen rebelliert oder sich gegen festgefahrene Einstellungen positioniert und versucht, mit expotentiellem Wiederholen entscheidender Headlines darauf aufmerksam zu machen. Pronto, Pronto!

Human Abfall sind voll mit politischen Statements, wie ich sie in dieser Konzentration noch nie bei einer Band erlebt habe. Es war wie eine Warnung an mich, über viele Themen intensiver nachzudenken. Den Blick insgesamt wieder zu schärfen, nicht alles als selbstverständlich zu betrachten, das Leben aus dem Blickwinkel andere Menschen zu sehen, sich zurück zu nehmen und anderen den Vortritt zu lassen. Es ist enorm, was Human Abfall mit einfachen und klaren Worten, eingepackt in teils düsteren Wave Sound und treibenden Drums, erreichen können.

Unbeweglich, wie Lenin auf dem Roten Platz

Und das ist nicht nur so dahin geschrieben, denn es war wirklich so. Er stand einfach da, Sänger, Frontmann und vermutlicher Genius von Human Abfall, Flávio Bacon. Er beförderte alle Statements an diesem Abend unbeweglich und ruhig, aber immer mit Nachdruck in Blick und Stimme, ins Publikum. Wie konnte er nur die ganze Zeit so angewurzelt da stehen? Er blieb einfach bei jedem Song rigide stehen, während ich zu ‚Überkatze‘ mein Allerletztes, was ich an Energie noch hatte, in die Runde sprang. Selbst Gitarrist und Basser fegten wie aufgezogene Kreisel über die Bühne und schmetterten harte Gitarrenriffs und hämmernde Basslines als Begleitkommitee zu Herrn Bacons Aussagen heraus, aber er stand einfach nur da. Es war für mich einfach unfassbar!

 

Mein Fazit möchte ich gern an Human Abfalls Song ‚Wir hatten so viele Pläne‘ anlehnen, in dem es heißt:

Alles nur erlogen und erstunken und erstunken und erlogen,
Eine Woche lang hab ich nur gespült und gekocht und gekocht und gespült.
Bring mich zurück ans Ufer, Gigantenschwan!

Wir drehen uns im Kreis! Ich möchte es hier als politisches Statement betrachten und euch alle auffordern, weiter zu denken, um die Welt an manchen kleinen Ecken gerechter, ehrlicher, freund- und friedlicher zu gestalten. Sie ist es wert!

Ach und: Auf einer von 1 bis 10 Finger-in-die-politische-Wunde-Skala, seid ihr HUMAN ABFALL eine 10. Ich glaube, dem würde selbst Ulrike Meinhof mit ihrem Gefolge zustimmen.

Ein nachdenklicher Zweikanal

Ein Gedanke zu „Human Abfall – Isolationshaft in Stammheim

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