geschrieben von Rupert und Heike
ROLLING STONE BEACH, 10.11. – 11.11.23, Weissenhäuser Strand
Festival-Liebe an der Ostsee
Heike: Ein Traum, oder? Fahren wir wirklich an die Ostsee zu einem Festival? Scheint als würde ein Traum in Erfüllung gehen! Ostsee und Festival – wer mich kennt weiß, dass das für mich ein perfektes Match ist.
Ich möchte euch nur kurz, quasi als Einleitung, dieses Festival vorstellen. Und dann freue ich mich sehr darüber euch hier mit unserem Gastblogger Rupert und ganz vielen tollen in Worten und Fotos festgehaltenen musikalischen Erlebnissen zurück zu lassen.
Das Rolling Stone Beach Festival findet seit nun mehr 14 Jahren am Weissenhäuser Strand in einer riesigen Ferienanlage statt. Bei der Anreise waren wir aufgrund der Größe des Geländes ordentlich beeindruckt. Überall süße Ferienhäuser, Appartment-Häuser und Hotels, sogar ein großes Spaßbad konnten wir im Vorbeifahren erspähen. Trotz der Größe wars doch auch irgendwie idyllisch und das lag sicher nicht nur an der Nähe zum Strand.
Nach dem netten Empfang war erstmal Orientierung angesagt und natürlich auch der Weg zum Strand, bei dem uns neben Highland-Rindern und Pferden hauptsächlich fröhliche (Bier trinkende) Altrocker:innen begegneten. Eine komplette Hotelanlage wurde zu einer vielseitigen und liebevollen Festivallandschaft umfunktioniert. 4 Indoor-Bühnen in allen Größen, Merch, Konzertposter, Plattenbörse, das vielseitige Catering. Für jede Stimmung gibt es hier ein Plätzchen.
Also stürzen wir uns rein!
Und damit übergebe ich an Rupert und mische mich nur kurz beim Kapitel Tocotronic (aus Gründen) ein:
Die Nerven: Schauspielerische Provokation
Der musikalische Start in das Festival war dann ziemlich sportlich, weil wir die Zeit falsch gelesen hatten. Und trotzdem haben wir es geschafft, mit 30 Sekunden Verspätung, den „Öffner“ des Abends zu sehen, wie sie sich selbst genannt haben: Die Nerven. Es war nicht das erste Konzert, das wir dieses Jahr von ihnen gesehen haben. Wie gewohnt ging es aber mit voller Kraft los. Allerdings war die Stimmung im Raum noch sehr verhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob es an der Zeit bzw. dem Slot lag. Die 3 Nerven wirkten sehr routiniert, aber für meinen Geschmack etwas zu berechenbar. Auch nach einigen Songs blieb das Wow-Gefühl bei mir aus, dass ich im Mai beim Orange Blossom Special definitiv hatte. Das liegt möglicherweise daran, dass die Show sehr einstudiert wirkte. Ich war ein bisschen an ein Schauspiel erinnert. Pathetische Pausen gefolgt von einem Klanggewitter; wieder…und immer wieder. Dabei sind für mich die Songs mit ihren wichtigen Botschaften zeitweise in den Hintergrund gerückt. Im Verlauf des Konzerts ist dann aber der Knoten geplatzt. Die Band wurde locker und das Publikum auch. Die Freude im Raum war zu spüren. Es wurde wild und leidenschaftlich.
Ergreifende Liedermacherkunst mit Tristan Brusch
Weiter ging es dann mit einem großen Gemütswechsel: Vom provokativen Post-Punk zur emotionalen Zerbrechlichkeit. Das Interesse an Tristan Brusch war enorm. Denn vor der Möwenbräu-Bühne stapelten sich die Menschen. Für meinen Geschmack war die Location für den Act ungünstig. Die Bühnengröße war toll, weil eine sehr friedvolle und exklusive Stimmung aufgekommen ist, die in den ersten Reihen sofort aufgesaugt wurde. Die 4 Musiker:innen spielten ihre Songs mit Hingabe und einer wahrlichen Dramaturgie, die schwer zu überbieten war. Allerdings extrem authentisch und kein bisschen gekünstelt. Alle Instrumente waren so gezielt arrangiert und extrem dynamisch gespielt, dass die Texte von Tristan Brusch zu leben begannen. Diese waren hemmungslos und sehr persönlich; in jedem Falle sensibel, wie der Künstler sich selbst auch benennt. Der anfängliche Kampf gegen das laute Publikum aus den hinteren Reihen legte sich im Verlauf des Konzertes, nachdem der Sänger mehrfach das Publikum auf rabiate, aber nicht unpassende Art um Unterstützung bat: „Haltet doch bitte eure Schnauzen, dann funktioniert das hier besser.“ Es hat sich gelohnt. Tristan Brusch mit dem Rückhalt von seinen 3 Mit-Musikvirtuos:innen bewegt zutiefst.
Been Stellar: Ein Tornado der Leidenschaft auf den Punkt
Voller Neugier ging es dann weiter – wieder auf der Möwenbräu-Bühne. Wir wussten nicht, was uns erwartet. Und plötzlich war eins klar: Das wird frisch, jung und spritzig. 5 unfassbar junge Menschen schillerten völlig unerwartet auf der Bühne. Sie überzeugten in ihrer klassischen Besetzung mit 2 Gitarren, Bass, Schlagzeug und Gesang. Aber wie. Meine Fresse…waren die tight. Ich war vollkommen überrumpelt. Das ist man häufig nur von Bands gewohnt, die schon ewig zusammenspielen. Aber hier waren junge losgelassene Wildpferde, die mit Spaß und naiver Leidenschaft, vollkommen ungebremst, über die Bühne trabten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich der jungen Band mit Vergleichen zu alten Bands (aus meiner Jugend) Unrecht tue. Aber ich habe mich zurückgesetzt gefühlt in eine Zeit, in der Indie und Grunge gelebt und nicht nur darüber geredet wurde. Und hier hatte ich ein Flashback. Sofort kamen mir Erinnerungen an die Auferstehung von einst revolutionären Bands. Die „Kids“ aus New York symbolisierten für mich ein ganz verrücktes Bild. Bloc Party spielen zusammen mit den Strokes. Manchmal kommen dann noch die Smashing Pumpkins vorbei. Und zu guter Letzt verirren sich auch noch Silverchair hierher. Aber nichts davon ist kopiert, sondern modern in Symbiose gebracht. Ich war begeistert.
Tocotronic: Meine Liebe
Heike: Hier übernehme ich mal kurz! Wenn auch nicht so musikalisch gehaltvoll, dafür aber umso mehr emotional gehaltvoll. Ihr wisst es, Tocotronic gehört zu meinen Lieblingsbands und die einzige Aufgabe für mich bestand darin diese Band und ihre Musik wie immer im Moshpit abzufeiern. Okay vorher mussten noch schnell die Fotos gemacht werden, aber zum Glück durften wir nur für Song 2 und 3 in den Graben. Danach wurde die Tasche und die Kamera abgegeben und ich stürzte mich ins ersehnte Tocotronic-Getümmel. Bei Festivals gehts da meist etwas geordneter zu, dennoch fanden sich 30 bis 40 Freaks zusammen, die mit mir zusammen ordnungsgemäß in der Mitte abfeierten. Ohne blaue Flecken, zertanzten Schuhen und von Bierduschen getränkte Klamotten, geht man einfach nicht von einem Tocotronic Konzert. Selig und zufrieden, emotional aufgefüllt mit unendlichen Glücksgefühlen und dennoch tieftraurig, dass es schon vorbei ist – so steht man da, wenn „Die großen weißen Vögel“ von Ingrid Caven ertönt.
Dinosaur Jr.: Ein Feuerwerk des Rock´n´Roll
Zu Zeiten von digitalen Amps und In-Ear Monitoring sieht man immer weniger Lautsprecher auf der Bühne. Doch nicht beim Abschluss-Act des Abends: Dinosaur Jr.! Die Legenden der Musikgeschichte. Da sieht man mal wieder ein Full-Stack. Nein. Nicht eins, auch nicht zwei, sondern drei. Und das nur beim Gitarristen. Man könnte es vielleicht Body-Monitoring nennen – umgeben von drei Verstäkerwänden; nur der Blick nach vorn ist frei. Jeder Ton musste vollkommen gespürt und nicht gehört werden. Denn es war laut. Sehr laut. Ich hatte das Gefühl, dass man bei dieser Lautstärke eigentlich sterben müsste, wenn man auf der Bühne steht. Aber dem war nicht so. Im Gegenteil. Es war sehr lebendig. Die knallharten Riffs wurden erbarmungslos aufs Publikum geschossen. Allerdings war die Munition Freude und Verbundenheit. Denn viele tanzten hemmungslos mit einem Grinsen im Gesicht; auch wenn bestimmt einige Ohren der nächtlichen Erholung entgegen sehnten.
Will Butler & Sister Squares: Bunt, frontal, weltbewusst
Den Auftakt zum zweiten Tag übernahmen für uns Will Butler & Sister Squares. Und der erste Eindruck dieser Band war bunt. Die 3 Frauen und 2 Männer bestachen durch farbenfrohe Outfits, die magnetische Anziehungskraft hatten. Dann folgte der erste Ton…und diese Band war im Rausch ihrer Klänge. Mit vielen Snythies, neben Gitarre, Bass und Schlagzeug, schickten sie ihre Gefühle durch den Raum. Häufig sangen sie dazu 5-stimmig, was mitunter an wunderbare Chöre erinnerte. Dabei zeigte sich, dass ihre ausdrucksstarke Kunst genau so bunt, wie ihre Kleidung war. Als Resultat konnte man nur eins: Tanzen. Füße wackelten und Köpfe wippten. Anders war es nicht möglich bei dieser Karussellfahrt der Musikrichtungen, die sich zwar irgendwie um Synthie-Pop aufbaute, aber auch Rock, Wave und Elektro beinhalte. Und genauso wechselten die Mitglieder der Band ihre Rollen – Jede Person hat irgendwie alles mal gespielt. So entstand ein wandelnder Charme von sanften Vibes bis zu harten Beats.
Indie-Folk mit Eagle And The Men
Im kleinen Möwenbräu stiegen die jungen Thüringer auf die Bühne. Der erste Eindruck: Boah sind die sympathisch. Mit zwei Gitarren, Bass, Piano, Schlagzeug und Gesang spielten sie sich mit ihrem Indie-Folk sofort in die Herzen des Publikums. Der Sound war alles andere als deutsch. Für mich klangen sie international und erinnerten immer wieder an Kings of Leon, was aber wahrscheinlich hauptsächlich an der charismatischen Stimme des Sängers lag, die durch Gitarren getragen wurde. Die Dankbarkeit der Band war herzerwärmend und die Freude der Jungs sprang einfach über, wenn man sie immer lächeln sah, bei dem, was sie auf der Bühne entstehen lassen haben.
Thees Uhlmann
Die große Bühne vorm Zeit war gut gefüllt als Thees Uhlmann erschien. Neben einem kleinen Tisch mit 3 Gläsern und einem Handtuch gab es nur noch einen Mikroständer. Und dort stand er nun – Thees…allein mit seiner Gitarre. Das Publikum kreischte und er begann, wie gewohnt, energetisch zu spielen. Es wirkte pur, authentisch und klar. In seinen Liedern war er stark und präsent; in seinen Ansagen manchmal leicht verunsichert, aber echt, was ihn sehr nahbar auf eine positive Weise machte. Aus dem Vergessen einer Textzeile wurde ein Moment der Verbundenheit mit dem Publikum. Der Funke sprang über. Allerdings war mein Solobedarf an ihm irgendwann erschöpft und ich hätte mich über die Unterstützung der Band gefreut.
Bob Mould: Musiklegende im Duracell-Modus
Eine weitere Musiklegende betrat die Bühne und auch er war ganz allein. Da war Energie. Ein älterer Herr, der mit seiner E-Gitarre nicht zu bremsen war. Ein verzerrter Sound, schnelle Akkordwechsel und kraftvoller Gesang fegten hier durch den Raum. Der Frontmann der ehemaligen US-Punk-Band Hüsker Dü begeisterte die Fans im Publikum. Ich war davon allerdings überfordert und bekam den Eindruck vermittelt, überfahren zu werden.
The Notwist: Kunst auf höchstem Niveau
Es ist reichlich 20!!! Jahre her, als ich The Notwist das erste Mal gesehen habe. Damals war ich begeistert von dieser Mischung aus harter Musik und diesem sehnsuchtsvollem Gesang. In den folgenden Alben habe ich die Band durch die zunehmend jazzigen Einflüsse irgendwie ein bisschen verloren. Aber sie sind mir immer mal wieder begegnet. Und heute sollte es nun soweit sein, dass ich mir dieses Live-Erlebnis wieder ermögliche. Und was soll ich sagen: Allein der Bühnenaufbau der Instrumente deutete auf Detailverliebtheit. Und so war es dann auch. Die 6 Männer verbanden sich mit ihren Instrumenten und tauchten in ihren Flow. Sie schafften vom ersten Ton eine unfassbar komprimierte Energie, die durch den Saal schwebte. Es war perfekt, dass diese Kraft nicht durch Ansagen unterbrochen wurden. Wo andere Bands Pausen haben und erzählen, waren bei The Notwist „nur“ tragende Klangflächen, die einen warm in ihren Armen halten. Sie haben mich zutiefst berührt, da der Spannungsbogen im Set so vielseitig war. Die Dynamik von sanft bis hart, von neu und alt, riss mich umher wie ein wilder Ozean. Am Ende war ich einer Trance sehr nahe und fühlte mich einfach nur glücklich.
Und damit ging ein ganz wunderschönes Festival schon zu Ende. Es war ein gebührender Abschluss im Zelt. Ein Abschluss der dem gesamten Erlebnis das i-Pünktchen aufsetzte. Rolling Stone Beach, wir werden uns wiedersehen. So viel ist sicher.
Vielleicht ist ja eine:r von euch auch beim nächsten Mal mit dabei!?
Rupert & Heike