Ein Post-Rocker beim Bukahara-Konzert

geschrieben von Gastautor und Post-Rocker Rupert

Diese ganz besonderen Zeiten

…führen zu ganz besonderen Umständen. Nach monatelanger Konzertabstinenz ist in meinem Leben etwas Elementares verloren gegangen. Das hat sich schrecklich angefühlt. Und so ist es gekommen, dass ich entschieden habe: So lange Konzerte stattfinden, will ich jeden Live-Moment aufsagen. Auch Genres außerhalb meiner Komfortzone. Wer weiß, was passiert. Es ist mein Experiment!

Bukahara beim X&Pop Festival am Rostocker M.A.U. Club

Und so kam es, dass ich tatsächlich in ein Bukahara-Konzert im wunderschönen Rostocker Hafen eingelaufen bin. Die Bedingungen hätten aktuell nicht besser sein können. Sogar stehen durfte man, was bei den momentanen Konzepten eher eine Ausnahme ist. Dank der Hanse Sail lag der Hafen voller beeindruckender Schiffe. Die Leute hier wirkten entspannt und die Sonne rundete die Stimmung malerisch ab.

Aber nun zum Wesentlichen:

Normalerweise kommen zu den Konzerten, die ich besuche Menschen mit dunklen Klamotten. Die sind dann gepierced, tätowiert und haben Tunnels, in die man bedenkenlos große Karabiner einhaken kann. Die Stimmung ist ernst. Diesmal aber schweben viele lachende und sehr bunt gekleidete Menschen an mir vorbei und hören einfach nie auf zu grinsen. Das finde ich echt erfrischend. Und als dann das Konzert begann, bewegte sich ein Großteil des Publikums sofort wie Flummis. Sie hüpften und sangen dabei, als hätte es nie eine Konzertpause gegeben. War das schön!

Nach einem kurzen Verdauen dieser Situation hatte ich nun endlich Zeit, die Band mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war ein außergewöhnliches Setup. 4 Personen, aber mit gefühlt 100 Instrumenten. Das Schlagzeug auf gleicher Höhe, wie der Rest der Band. Und noch verrückter: Der Schlagzeuger ist gleichzeitig der Gitarrist und der Leadsänger. Aber was soll ich sagen: Irgendwie passt das. Nach ein paar Songs beginne ich diese Band auch irgendwie für mich zu verstehen. Musikalisch bin ich noch nicht so angekommen. Aber wie sollte das denn auch anders sein. Ist ja schließlich Neuland für mich. Mir wird Folgendes nach kurzer Zeit klar: 4 total unterschiedliche Typen mit 4 Eigenschaften.

Typ 1 (Daniel Avi Schneider): Die Zurückhaltung, aber dafür Perfektion.

Genauso scheint mir der Violinist, der zudem noch die Mandoline spielt. Er wirkt häufig sehr konzentriert und zeigt ernste Miene. Aber mit welcher Genauigkeit und welchem lässigen Stil er seine Instrumente spielt, hinterlässt bei mir einen bleibenden Eindruck. Das i-Tüpfelchen für mich: Er kann auch noch sehr emotional singen. Das beweiste er uns bei dem Lied: Vögel!

Typ 2 (Max von Einem): Der Übersympath

Alles andere würde dem Brass-Mann nicht gerecht werden. Ich fühle mich von seiner fröhlichen, authentischen Art quasi gefangen. Immer wieder muss ich zu diesem fröhlichen Kerl schauen, der seine Posaune, Tuba und Trompete spielt, als wären es seine allerbesten Freunde. Normalerweise stehe ich nicht auf Brass. Aber heute irgendwie schon. Er spielt sich nicht in den Vordergrund, sondern bindet sich immer im richtigen Maß ein. Singen kann er auch noch.

Typ 3 (Soufian Zoghlami): Die Omnipräsenz 

Der Leadsänger, Gitarrist und Schlagzeuger ist für mich das Bindeglied der Band. Er wirkt wie der Chef, aber gleichzeitig auch nicht, weil er sich überhaupt nicht in den Vordergrund drängt. Er lässt allen Musikern den nötigen Raum und rundet das Ganze mit seiner erdigen Stimme ab. Die Gitarre und die Beats steuern die Stimmung wie eine Fernbedienung. Am meisten haben mich die Passagen abgeholt, in denen nur seine Gitarre und seine Stimme miteinander getänzelt haben. Das war wie ein romantisches Liebesspiel und hat mich an große Singer-Songwriter erinnert.

Typ 4 (Ahmed Eid): Die Partymaschine ohne Power-Off-Knopf

Der Kontrabassist besticht durch seine einnehmende Art. Immer ein Lachen, tolle Tanz-Moves und ein beeindruckendes Bass-Spiel bei den schnellen Songs. Er ist durchweg in Höchstform und fängt das Publikum mit seinen Blicken. Eine Flirt-Maschine. Seine warme Stimme schillert auch in einigen Momenten. Kleiner Wermutstropfen für mich: Leider ging die Party auch in den Balladen weiter. Das hat mich verwirrt.

Der Gassenhauer: Eyes Wide Shut

Normalerweise höre ich nie schnelle Ska-lastige Musik oder Reggae. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass es folgenden witzigen Moment beim Konzert gab. Der Sänger kündigt das nächste Lied an und erzählt von einem Gassenhauer. Alle jubeln (außer mir). Die Band spielt los. Alle jubeln und tanzen (außer mir – ich wippe im Takt; das macht man so bei Rock). Dann kommt der Refrain. Ich drehe mich um und schaue in das euphorische Publikum. Alle, wirklich alle singen mit (außer ich, kenne ja den Text nicht). Das war schräg, aber irgendwie auch toll. In dem Moment hab ich‘s dann kapiert. Diese super-sympathische Band färbt einfach auf die Zuhörer ab, wenn man sich darauf einlässt. Gesagt getan. Also habe ich mich dann mal in das Ganze fallen lassen und wurde tatsächlich, als der einzige „Außenseiter“ bei diesem Konzert, wunderbar aufgefangen. Natürlich haben mir diese reduzierten Balladen musikalisch mehr zugesagt, als die Ska-Smasher. Aber ich muss ehrlich gestehen: Das war ein Fest auf musikalisch sehr hohem Niveau.

Mein Experiment hat mich erweitert. Ich bleibe dran.

Zum X&Pop Festival

Vielleicht noch ein paar Worte zum Festival an sich. Ich finde es bewundernswert, wenn sich unter den aktuellen Bedingungen Leute ins Zeug legen und ein Kultur-Event auf die Beine stellen. Dazu gehört Mut und noch mehr Organisation als sonst schon. Beim X&Pop verzaubert natürlich schon die Location. Ein Konzert am Hafen (direkt hinterm M.A.U. Club) ist unbeschreiblich schön. Auch die Idee jeden Tag eine überschaubare Menge von Bands spielen zu lassen, kommt bestimmt vielen Zuschauern entgegen. Die Vorbands waren recht gut auf den Headliner abgestimmt. Der Einlassprozess verlief natürlich durch die Corona-Auflagen etwas zerrig, war aber zu verkraften. Die Crew wirkte zudem recht nett. Dafür meinen Respekt.

Schade empfand ich aber, dass man das Gelände nicht mehr verlassen durfte, wenn man erst einmal drinnen war. Besonders, weil es nahezu keine Highlights im Festivalgelände gab. Kaum Merch, keine Aussteller und das Catering war für die 2020er sehr dürftig. Als Vegetarier hatte man verloren. Mit einfachen Einlassstempeln hätte man hier deutlich mehr Entspannung reinbringen können.

Der Ausflug nach Rostock und das musikalische Experiment haben sich dennoch gelohnt. Genauso wie hier diese Zeilen für den Blog zu schreiben.

Mal sehen, vielleicht lesen wir nochmal voneinander. 😉 Dann vielleicht von einem Post-Rock-Konzert.

Herzlichst, Rupert

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