SOUND OF BRONKOW – 2. – 4. September 2016, Societaetstheater, Dresden –
Jetzt hatte uns der Freitag schon so sehr begeistert, dass unsere Erwartungen und Vorfreude fast ins Unermessliche anstiegen. Wettertechnisch hatte der liebe Gott zu mindestens am Samstag wohl ein kleines Auge auf die Dresdner Neustadt geworfen, denn mit 26 Grad und Sonne waren die besten Voraussetzungen für den Start in den zweiten Festivaltag von oben jedenfalls geklärt.
Warum erwähne ich das Wetter? Nun, weil am Samstag das SoB im Garten startete und das sogar als Freeshow. Alle die sich entspannt in den Garten des Societaetstheater verirrt oder bewußt bewegt haben, konnten eine Reihe guter Bands erleben, ohne Eintritt bezahlen zu müssen. Aber dazu würde ich sehr gern den Staffelstab an meine liebe Chérie weiterreichen, welche diesen Nachmittag auf ihre ganz eigene Art und Weise erlebt hat.
Chérie: Nicht nur diesen Samstag Nachmittag, das gesamte Festival und seine Musik, hab ich irgendwie auf meine Art und Weise entdeckt. Du warst mir zwar zu jeder Zeit ein erfahrener SoB-Wegweiser und treuer Handhalter, doch die Musik ließ mich, das ein oder andere Mal, einfach mit meinen Gedanken und Gefühlen in meine eigene kleine SoB-Welt entschwinden.
Apfelgarten-Liebe mit Bergen
Ich machte mich also zusammen mit unserer pubertierenden Halben auf in den Apfelgarten des Societaetstheaters. Ein weiteres Highlight stand für uns auf dem Programm – die Dresdner Band Bergen mit Frontmann Mario Cetti, seines Zeichens Gründer des Dresdner Labels K & F Records und schon allein deswegen verpasst man diese Band nicht. Ich freute mich auf einen chilligen Nachmittag bei wunderschönem deutschen Indiefolk-Pop. Auch wenn mich Mario mit seiner Aussage, bei iTunes würde die Musik von Bergen unter der Rubrik „Schlager deutsch“ gelistet sein, etwas irritierte. Denn immer wieder hüpfte dieser „Schlager“-Gedanke in mein Köpflein und wollte sich dort breit machen. Und er hüpft da auch noch zwei Wochen nach dem Sound of Bronkow herum. Allerdings, während ich hier so schreibe und youtube, wird er immer kleiner.
Geschichtenerzähler Mario führte sympathisch durch sein Bergen-Programm und ließ mich mehrfach schmunzeln. Einen kleinen Auszug aus hängen gebliebenen Anekdoten will ich euch hier an dieser Stelle einfach weitergeben. Z. B. die Geschichte zum Song „Klötze“, welches er dem von ihm bezeichneten 2. Markt widmet. Den Ü30igern, die sich beflügelt von ihren gescheiterten Beziehungen und den daraus entstandenen Kindern, flirtend und baggernd auf Dresdens Spielplätzen tummeln, um ihre Freiheit zu genießen. Oder die Knutschgeschichte: Mario meint, wenn man Bock auf Knutschen hat, dann braucht man einfach eine Decke, die Elbe und die beleuchtete Frauenkirche und schon hat man jeden Frauenmund gewonnen. Nicht dass er ein „Knutschboy“ wäre, fügte er dann noch schnell dieser Geschichte hinzu. Das darauf folgende Lied ist z.B. an der Elbe entstanden, leider hab ich vergessen, was es für eins war. Sorry! Vielleicht kannst du, Mario, mir nochmal auf die Sprünge helfen?
Ich möchte all diese Geschichten bitte einfach noch mal hören. Und nicht nur die gesprochenen, sondern auch die gesungenen, aber dann in voller Besetzung, mit euren Bläsern und allem drum und dran.
Nach einer kurzen Pause geht´s weiter – Someday Jacob
Nach dem ich unsere pubertierende und Pokémon jagende Halbe lange genug mit guter Musik gequält habe, wurde sie für ihre Geduld mit wohlriechenden Bibi-Produkten belohnt und durfte nach Hause abdampfen. Beide Zweikanäler machten sich dann wieder auf den Weg zurück aufs „Festivalgelände“ und zu Someday Jacob. Kurz abgelenkt von Bier und Freunden, konnte ich mich dann doch noch ausgiebig dem Sound der Bremer Folkrock-Band hingeben. Der, uns an Bryan Adams erinnernde, Frontmann und hauptamtlicher Musik-Journalist beim Rolling Stone, Jörn Schlüter, nahm uns mit auf eine Reise in den Westen Amerikas. Warum lasse ich mich eigentlich immer auf diese musikalischen Reisen ein? Schon bei den Sunset Sons erwischte mich das Urlaubsfeeling und nun sollte mich Someday Jacob schon wieder in eine Ecke der Welt entführen, welche mich die Leichtigkeit und die Sonne im Herzen spüren ließ. Hach, so im nachhinein ärgere ich mich, die Reise nicht in vollen Zügen genossen zu haben. Hört unbedingt hier mal rein:
Rue Royal – Mit feinfühlige Familienbande
Wenn ich den Namen des Duos Rue Royal höre, trete ich bereits hinein in das Bild, besser in ein begehbares Gemälde, gesungen und gemalt vom Ehepaar Ruth und Brooklyn Dekker. Feinsinnig und filigrane Linien, hauptsächlichst von akustischer Gitarre und Keyboard arrangiert, begrenzen oder trennen Berge vom blauen Himmel mit vorbeiziehenden Wolken, blaues Wasser von satten grünen Wiesen, greifbare Nähe von unerreichbarer Ferne und Schärfe von Verschwommenen. Sie erzählten uns Geschichten über Liebende, Verlassene, Enttäuschte und Narben, die sicher jeder von uns schon einmal so ähnlich erlebt hat. Immer etwas schwermütig und melancholisch, fast so als würde uns die Familie Dekker vor den Unwägbarkeiten des Lebens warnen wollen. Sind ihre Lieder auch immer etwas von Traurigkeit geprägt, fühle ich mich trotzdem beim Besuch ihrer Gemälde nie allein gelassen, so als befände sich einer der Beiden immer in erreichbarer Nähe, der mich durch die gemalte Landschaft begleitet.
The lovely family Dekker beim #SoB hinreißend, herzlich und rhythmisch @RueRoyale pic.twitter.com/S34aRbJv64
— Zweikanal (@zweikanaldd) September 3, 2016
Aber lustig sind sie auch! Allerdings das nur zwischen ihren Gemälden. Charmant, respektvoll und witzig ließen sie die eine oder andere Schote aus ihrem bekümmerten Gewand. Kleine Anekdoten über ihre ewigen Touren, lieblichen Nachwuchs oder einfach über den Abstand voneinander brachten Zuhörer und bereits gedanklich Entfernte zum Schmunzeln. Fein gemacht, ganz ganz fein, wie ich fand. Qualität in einem ganz besonderen Kleid, stimmlich perfekt und harmonisch, jeder Ton am richtigen Platz. Musikalisch nie überladen, aber doch voluminös, irgendwie immer ähnlich, aber nie langweilig. Danke für eure Bilder, es war perfekt!
Mothers of the Unicorn – Sie werden keinen Feenstaub brauchen!
Die ganz eigene Interpretation eines Mixes aus The National, Junip und … und … ich komme nicht darauf, erlebten wir im Foyer mit den Jungs von Mothers of the Unicorn. Erneut eine hochgradig reizvolle Nummer, ich konnte mich derer über Gespräche hinweg, nie ganz entziehen. Immer wieder fingen sie mich musikalisch ein, forderten meine Aufmerksamkeit und an allen Ecken ihres Konzertes konnte ich zu diesen Songs schwelgen und tanzen. Musikalisch ein Streifzug durch unterschiedliche Musikrichtungen verschiedener Jahrzehnte. Stile oben genannter Bands, erweitert um Bon Iver, vermischten sich hier mit Tarantino Styles, Elektrogefrickel und Joy Division Beats.
Ich will nicht sagen das die Einhorn-Mütter einen unglücklichen Zeitpunkt erwischt hatten, aber alle Besucher waren in diesen Momenten bereits auf die Headliner des gesamten Festivals fokussiert, so dass besagte Mütter einen schwierigen Stand hatten. Sie flogen etwas unterm Radar, gefühlt wie eine Vorband, ihre musikalische Qualität ging dabei etwas unter. Eigentlich sehr schade, denn die fünf waren herausragend. Und ich möchte da sogar noch einen drauf setzen und sagen, dass die Mothers of the Unicorn die Band mit dem größten Potenzial war. Entwickeln sie ihre Musik weiter, nutzen sie die Kraft der Verbindung verschiedener Musikstile, wird die Pforte zum Superband-Olymp suksessive näher rücken. Und das meine ich im vollen Ernst, aufgrund ihrer Vielfalt und genannter Einflüsse für mich ein brodelnder musikalischer Vulkan, dessen Eruption noch bevorsteht.
Chérie, das ist doch mal ne Ansage. Wir müssen diese Band in jedem Fall nochmal erwischen. Ich bin sehr gespannt, was aus ihnen wird und wo sie in fünf Jahren stehen.
Algiers – temporeiche Energiebündel
Hatten gut eine Stunde vorher Rue Royal den Großen Saal mit ihren sanften Klängen ausgefüllt, sollte es zu diesem Zeitpunkt zu einen ganz anderen Art der Füllung kommen. Algiers were in da house und das mit ihrer ja fast übermenschlich brachialen Kraft. Unglaublich was für Power die vier Jungs auf die Bretter brachten. Das hatte ich so nicht erwartet.
Wurde ich beim ersten Durchhören der Algiers-Songs im Vorfeld vor kleinere Probleme gestellt, waren die nach den ersten Tönen bzw. Liedern wie weggeblasen. Live gespielt, ist es eben gerade bei diesen, von ihrer Performance lebenden Bands, ein großer Unterschied zur Platte. Sänger Franklin James Fisher ist mit einem stimmlichen Organ ausgerüstet, was scheinbar seines Gleichen sucht. Kraftvoll, dynamisch und mit einer gehörigen Portion Soul beschallte er den Saal. Ich war beeindruckt, das muss ich zugeben. Eine Mischung aus Soul, Funk, Alternative und Electro holte, glaube ich jeden Zuhörer hinter dem Radeberger vor und impfte die Leute im Saal Lied um Lied mit Energie, welche sich nur durch ununterbrochenes Tanzen wieder abbauen ließ. Also, das Gefühl hatte ich jedenfalls. Wie gings dir Cherié?
Chérie: Ich kann hier fast nichts mehr hinzufügen, denn ja, ganz genauso war es! Meine ersten Berührungspunkte mit Algiers hatte ich bei einer TV-Live-Übertragung vom Haldern Pop auf Einsfestival, ein paar Wochen vorher und schon damals wusste ich vom Headliner des SoB und schaute besonders aufmerksam zu. Mein Eindruck: schwierig, irgendwie unrhythmisch, verkorkst! Die Enttäuschung war groß, aber ich wusste nur zu genau, was passieren kann, wenn eine nicht ganz so mitreißende Band, einen live umhaut. Letztens erst passiert bei Les Yeux d’la Tête zur Kulturarena in Jena. Ganz so einschneidend wie bei den französischen Hipstern war’s dann bei Algiers doch nicht, aber der Sound und die Kraft dieser Amerikaner hat mich ähnlich begeistert, wie dich Dick! Allerdings muss ich gestehen, es war ab einem gewissen Punkt anstrengend, diese Energie auszuhalten. Und dann wurde es doch schwierig, irgendwie unrhythmisch, verkorkst!
Da geb ich dir Recht, es wurde ab einem Zeitpunkt etwas anstrengend, trotz der durchgängig charismatischen Vorstellung der vier Amerikaner, die mit ihrer Electronic-Walze alles überrollten, was sich ihnen in den Weg stellte. Daran konnte auch der immer wieder vagabundierende Bassist, was für ein Freak, nichts ändern. Aber das machte auch überhaupt nichts, Geschmäcker sind eben doch verschieden. Mein Akku war allerdings nach dieser Power-Performance wieder voll. 😉
Und zack war der zweite Tag des Festivals auch vorüber. Auf dem Heimweg ließen wir noch die eine oder andere Vorstellung Revue passieren und fingen bereits da schon an, den Spannungsbogen für den nächsten Tag am oder im Societaetstheater zu erarbeiten.
Eure Zweikanäle