geschrieben von Sandra
Wenn es eine musikalische Version gibt von dem sagenhaften Land, wo Milch und Honig im Überfluss fließen: Es hätte ganz bestimmt sehr viel Ähnlichkeit mit dem Rudolstadt-Festival (das in meinem betagten Kopf wohl auf ewig das TFF bleiben wird).
Es ist einfach ein Geschenk, sich bei bestem Wetter und in seelenverwandter Begleitung durch die Straßen, Hinterhöfe, Plätze und Grünflächen dieser sonst so verschlafenen thüringischen Kleinstadt treiben zu lassen und – buchstäblich – hinter jeder Ecke in eine andere musikalische Welt einzutauchen.
Die von manchem in der diesjährigen Rudolstadt-Ausgabe vermissten Headliner mit zugkräftigen großen Namen: Mir jedenfalls haben sie nicht gefehlt. Denn es kam, wie es bisher jedes Jahr kam: Ich fahre mit mindestens einer Neuentdeckung nach Hause, die meinen musikalischen Kosmos dauerhaft bereichert und mich mit einem beseelten Grinsen an ein wunderbares Wochenende zurückdenken lässt.
Freitag, 7. Juli:
Pat Jamroz Band
Unser Rudolstadt-Empfangskomitee bildet in der Marktstraße die Pat Jamroz Band, eine Straßenmusikformation aus Polen. Zwei Gitarren, eine Trommel, etwas Gesang – nichts Besonderes, möchte man meinen. Doch die Stimme des geradezu buddha-artig vor dem Schaufenster von Mieder Moden Michels (!) thronenden Sängers hält an diesem Nachmittag einfach jeden gefangen: Spätestens seine Coverversion von „Wish You Were Here“ von Pink Floyd beschert mir den ersten Gänsehautmoment des Wochenendes.
Mariposa
Leisere, instrumental fein abgestimmte, künstlerisch anspruchsvolle Klänge – gefühlt angesiedelt irgendwo zwischen Irland und Südamerika – boten uns kurz darauf Mariposa auf dem hübschen Schulplatz. Doch mit der emotionalen Wucht von Patryk Jamroz konnten die zarte Geige, das klagende Akkordeon und die sanfte Melodiegitarre für mich irgendwie nicht mithalten. Als akustische Begleitung zum obligatorischen eiskalten Weißen am „Weinhof Rudolstadt“-Stand war das Ensemble aus Hannover dann aber doch wieder perfekt.
The Slow Show
A propos emotionale Wucht: Herz, Bauch, Kopf – The Slow Show auf der großen Bühne im Heinepark – schon mit den ersten Tönen hatten sie mich. Dieser schmale Mann mit Hut und Sonnenbrille – wo holt der bitte diese wunderbar tiefe Bass-/Baritonstimme her? Kein Wunder, dass sich die Band bei ihren Arrangements ziemlich zurücknimmt und voll auf die fast betörende Wirkung der melancholisch-sanften, dennoch kraftvollen Stimme von Rob Goodwin setzt, der – nebenbei bemerkt – auf der Bühne auch noch super aussieht ,-) Doch auch ohne seine charmanten Mandelaugen-Aufschläge und das beglückte Hand-aufs-Herz-Legen: Er hatte uns an diesem Abend fest im Griff. Weil jeder Song den typischen, zum Träumen und Gedanken-fliegen-lassen verführenden Slow Show-Sound mitbrachte und dabei nie gleichförmig oder langweilig wurde. Und weil seine so besondere Stimme an diesem schönen Sommerabend irgendwie über dem Park zu schweben schien und uns durch den Rest der Nacht begleitete.
PoiL Ueda
Daran änderte (glücklicherweise) auch unsere nächste Konzertstation nichts, bei der uns das japanisch-französische Musikprojekt PoiL Ueda in eine mir völlig unbekannte, fremde (ehrlicherweise: befremdliche) Klangwelt entführte. Und auch dafür liebe ich das Rudolstadt-Festival: Es zeigt mir immer wieder, wie vielfältig die Musik ist, was die menschliche Kreativität so alles erschaffen kann. Doch – ganz ehrlich: Der mystisch-sakrale Fernost-Summ-Brumm-Gesang von Junko Ueda gepaart mit dem brachialen Rocksound von PoiL waren so gar nicht meins.
Lena Johnsson Trio
Aber vielleicht bin ich auch einfach eine Mainstream-Tante? Der kurz darauf beim Lena Johnsson Trio in den malerisch mit Lichterketten und Lampions illuminierten Bauernhäusern, bei Geigenmusik von einer wunderschönen Künstlerin im grünen Glitzerkleid und bei weinseligen Gesprächen unter dicht belaubten Apfelbäumen das Herz aufgeht? Dann sei’s drum. Denn auch dafür ist Rudolstadt an diesem Wochenende genau der richtige Ort.
Samstag, 8. Juli
Yarima Blanco y Son Latino
Unser Samstag startete musikalisch im sonnigen Kuba, dem diesjährigen Länderschwerpunkt, der auch perfekt zum Rudolstadt-Wetter passte (das in meiner Erinnerung übrigens nur Hitze oder Dauerregen kennt). Auf der großen Marktbühne nahm uns das Gitarren-Ensemble Yarima Blanco y Son Latino musikalisch mit auf die Straßen Havanas oder wo auch immer die Kubaner (in meiner Vorstellungswelt) singend, tanzend und flirtend das Leben genießen. Und natürlich war er an der dicht besetzten Bühne wieder einmal zu beobachten, der Rudolstadt-Effekt: ungelenke deutsche Männer versuchen sich an Salsa-Bewegungen, Paare in fortgeschrittenem Alter zeigen trotz Kopfsteinpflaster erstaunliche Tango-Kunst und wir Jüngeren schwingen unsere Festivalkleider verträumt im Takt. Alle gemeinsam. Und niemand stört sich daran. Herrlich!
Ramm Tamm Tilda
Mit verträumt war dann aber ganz schnell Schluss: Ramm Tamm Tilda waren in the house, besser gesagt: in einem hübschen kleinen Hinterhof, der offenbar von einer Hausgemeinschaft mit Musik bespielt und mit Kaffee und Kuchen gegen Kasse des Vertrauens bestens versorgt wurde. Was für eine schöne Initiative! Musikalisch passte da die Erfurter Straßenmusikbande (ja: Bande!) um Sänger und Songwriter Enrico Hiller bestens ins Konzept. Mit einem Sound, der direkt in die Beine ging, und super-witzigen Texten zum Mitsingen brachten sie uns echt in Wallung und erst recht ins Schwitzen. „Hat man dir die Schuhe angeklebt oder kannst du nur nicht tanzen?“ (ein Ramm Tamm Tilda-Song) – das musste uns an diesem Tag echt niemand zweimal sagen… Und deshalb rufen wir, verschwitzt aber glücklich (ebenfalls mit einem Tilda-Song) zurück: Immer wieder! Immer wieder!
Für mehr Rudolstadt Festival hat es dieses Jahr nicht gereicht, was sehr schade war, aber zum Glück ist das Rudolstadt Festival ja jedes Jahr.
Aber schaut gern hier mal vorbei, zumindest fotografische Eindrücke gibt’s auch vom Samstag Abend und dem Sonntag: Rudolstadt Festival 2023 – Die schönsten Momente in Bildern
Bis bald
Sandra