Tocotronic – 11.03.2018 – Stadtgarten Erfurt
Es war an einem Sonntag.
Ich öffnete meine Augen, die ersten Gedanken durchzogen meinen noch müden Kopf und auf einmal war ich hellwach. Heute war mein Tag, mein Tocotronic-Tag.
Es kündigte sich der erste Frühlingstag an. Die Sonne kam gerade hervor und ich kroch aus meinem Bett. Ich beginne selten den Tag ohne Musik, eigentlich nie. Die ersten Takte, die ich in meinem inneren Ohr hörte, waren diese:
„Ich hab ein Date mit Dirk am ersten Frühlingstag.“
Ja, wie passend. Ich hatte heute mein Date mit Dirk. Heute war mein Tag, mein Tocotronic-Tag.
Und schon hatte ich den nächsten Toco-Wurm im Ohr:
„Und ich wühlte mit der Hand
In meinen Taschen und ich fand
Einen Zettel auf dem stand
Das ist der schönste Tag in meinem Leben“.
Sollte er es werden, ich war bereit. Heute war mein Tag, mein Tocotronic-Tag.
Auf dieses Konzert freute ich mich schon eine halbe Ewigkeit und nun war es endlich soweit. Ich machte mich auf in mein wunderschönes Erfurt, genoss noch etwas Frühlingssonne im rappelvollem Erfurt, inkl. Freiluft-Bier auf dem Petersberg und groovte mich so langsam mit meiner lieben Toco-Begleitung in den Abend ein.
Support: Ilgen-Nur
Aber zunächst ein paar Worte zur Vorband, denn hier wartete Ilgen-Nur auf uns. Begleiten tut mich Ilgen-Nur schon eine Weile, wird doch das Lied „17“ auf meinem Lieblingsradio-Sender hoch und runter gespielt. Ein tolles Lied, in dem sie vom Erwachsenwerden singt und mich früh im Bad regelmäßig wie 17 fühlen lässt.
Der Film beginnt…
Fotos: Jens Borghardt
Es war fast so wie damals…
Mit damals meine ich mein erstes richtiges Konzert überhaupt. Total aufgeregt stand ich Jungspund in den Massen vor der Rolling Stones Bühne und konnte es kaum erwarten. Als der Moment dann kam, hatten mich meine Glücksgefühle total übermannt, auch wenn ich im ersten Moment überhaupt nix sah und mir nach heulen zumute war. Es war ein einschneidendes Erlebnis und fast so fühlte es sich an diesem Abend wieder an, als Dirk von Lowtzow und seine Mannen die Stadtgarten-Bühne in Erfurt betraten.
Endlich war er da: Mein Tocotronic-Moment:
„Herzlich Willkommen, wir sind die Gruppe Tocotronic“, begann gewohnt Dirk mit der Begrüßung des Publikums, um sich sofort in der Unendlichkeit zu verlieren. Ein starkes Lied. Ein großes Lied. Perfekt für den Einstieg in diesen Abend.
Bei Lied Nummer 2: Electric Guitar war es dann um mich geschehen. Mein Körper, meine Beine, mein Herz hüpften um die Wette und der Film begann. Ich war gefangen in dieser Tocotronic-Trance, alles war egal. Alle Gedanken waren ausgeschaltet. Es gab nur noch mich und die Gruppe Tocotronic und ein super geiles Erfurter Publikum um mich herum, die genau wie ich in diesem Film mitspielten und tanzten. Ooooar, Leute, jaaaa, wir tanzten, wir hüpften, wir schrien, wir sangen, wir lachten und wir schwitzten. Noch nie war mir schwitzen sooooo egal wie an diesem Abend. Ich war durch bis auf die Haut. Euphorie, Extase, Leidenschaft…man könnte es fast mit guuuutem Sex vergleichen. Mach ich aber an dieser Stelle mal lieber nicht 😉
Im Tocotronic-Film spielten für mich vor allem die alten Songs die Hauptrollen. Was nicht bedeutet, dass ich die neuen nicht gut finde. Sie hatten genauso ihren Platz und den brauchten sie auch. Aber hey, auch die wahnsinnig große Unendlichkeit kackt gegen „Drüben auf dem Hügel“, „Kapitulation“, „Aber hier leben, nein danke“ und „This Boy Is Tocotronic“ ab. Ja, ich weiß die alten Tocotronic-Fans beäugen momentan kritischst den kommerzialisierten Hype um ihre Band und dem neuen Album. Aber ganz ehrlich: Es ist nicht eure Band, es ist unser aller Band und ich bin froh, dass die „Musik-verdummte“ Menschheit nun auch etwas von dem Tocotronic-Zauber abbekommen darf.
Und dann gab es noch „Die Grenzen des guten Geschmacks 2“ – Wie haben wir getanzt und gesungen, ja gesungen, textsicher bis aufs letzte Wort, weil es eben dieses Lied ist:
„Was diese Grenzen anbelangt, so ist bekannt ja anerkannt, dass sie meistens fließend sind das sagtest Du trinkend. Ich war in Gedanken fort, dies schien ein nahezu perfekter Ort Für derlei Plauderei zu sein.“
Ja, wir waren in Gedanken fort, Grenzen existierten nicht, nur wir und das Hier & Jetzt, keine Aussicht auf eine Zukunft. Und ja, es war definitiv der perfekte Ort.
Und dann kam dieser Moment, das Geschenk. Einmal tief durchatmen, den Schweiß von der Stirn wischen, Augen zu und diesen Moment, dieses Geschenk spüren. Mit allen Sinnen.
Und der Schweiß tropfte weiter…
Die Mischung der Songs war grandios gewählt. Selten war ich mit der Auswahl der Setlist so glückselig wie mit dieser. Und dieser Film dauerte noch länger. Wir grölten und hämmerten die Tocos von Zugabe zu Zugabe…bis der vermeintlich letzte Takt (ich hab vergessen von welchem Lied) den Abschied einläutete und das altbekannte und so wundervolle Tocotronic-Outro „Die großen weißen Vögel“ von Ingrid Caven das Ende dieses großartigen Films nun endgültig beschließen sollte.
Hah, nix da. Wir wollten es nicht enden lassen. Nachdem der Großteil des Publikums schon den Heimweg antrat, trommelten die letzten übrig gebliebenen, die Toco-Süchtigen, stimm- und trittgewaltig die Mannschaft um Dirk noch einmal auf die Bühne. Und wir wurden mit einem fulminanten Ende belohnt. Mit „Freiburg“ entließ uns die Gruppe Tocotronic in ein Leben nach dem Film. Es war gar nicht so schlimm. Er wirkt noch nach. Und wir holen uns ganz bestimmt bald wieder eine Dosis. Allerspätestens zur Kulturarena in Jena.
Dann läuft der Film noch einmal.
Bis dahin!
Eure Süchtige