Artlake Festival – Von Zeitspalten, Avantgarde Punk und nötiger Distanz

ARTLAKE FESTIVAL – 16.-19.08.2018, Bergheider See, Lichterfelde –

geschrieben von Torsten Arndt

Was es nicht alles gibt! Wie z. B. die extrem ausgefallenen Stages beim Artlake Festival. Diesem verrückten Festival. Zusammenfassung vorab? Nein, das fällt mir schwer. Ein Wahnsinn was die krea-tiefen Macher von diesem Festival am Bergheider See auf die Beine gestellt haben. Von Disco in der Litfaßsäule, über 90-Jahre Party beim Büchsen werfen, bis hin zu Endlos-Tanzereien ist alles möglich. Ach … und Disco in der Mülltonne, direkt am Strand und im Strobo-Klo ist auch möglich. Wie nennt man das dann, eine Strobo-Sitzung? Crazy.

Das war soooo viel, das passt alles gar nicht in 24 Std. hinein, irgendwas mit Sielen auf der Isomatte musste ja auch noch sein. Und manchmal saß mein Kopf früh noch falsch herum auf meinen Schultern. Wenn ich an dieses Becks denke, hackt es gleich wieder.

Techno 2018

Bermuda Dreieck nannte sich die Techno-Stage beim Artlake Festival. Für mich immer nur Ort der Durchreise, um von der Eden-Stage – ihres Zeichens Bühne gitarrenlastiger Musik – zum Bierstand oder zur Beach-Stage zu gelangen. Und hier muss es an versteckten Ecken Zeitspalten gegeben haben. Ihr wisst schon, diese Zeitspalten eben, eine Lücke in der Zeit, in welcher man verschwinden kann und zu einem anderen Zeitpunkt wieder ausgespuckt wird. Und da tauchen sie auf, diese zeitreisenden Typen, welche da zu schnellstem Techno skurrile Moves tätigen. Stammen die aus dem Berlin der frühen 90er? Stichwort Tresor, Substanzen, Strobo? Bild entstanden? Ich weiß es nicht.
Ein Bild für die Götter! Unfassbar, ich bin fasziniert von diesen Relikten vergangener Tage. Nur Zeitspalten, diese kann ich leider nirgends entdecken. Verdammt, ich würde sie benutzen.

…Uns verbindet nur Distanz, voll und ganz, voll und ganz…

Na wie dem auch sei, weiter gehts, denn der erste Act im Indie Bereich Otzeki suhlt sich gleich mal nackt im Sand, geht im künstlichsten aller Wasserfälle baden, um dann ein herrlich indietronisches Konzert abzuschließen. Geht das jetzt so famos weiter? Scheinbar. Die Leoniden sind dran, mittlerweile sowas wie meine Haus und Hof Rocker! Und was fabriziert eigentlich dieser hauptberufliche Gitarrist schon wieder? Geht gar nicht, ich kann das nicht ansatzweise beschreiben. Ist das einstudiert oder jedesmal eine andere Impro? Keine Ahnung, schaut mal hier: Links diesen meine ich.

Und ich so: Haltestelle, Partymobil hält, Tür auf, ich rein und Abfahrt! Und die Leoniden schieben die Kiste ordentlich an. Ich vermute, wenn ich die Leoniden, na sagen wir so 3.50 Uhr wecken würde und auffordere: „Spielt mal Nevermind!“ zerscherbeln die fünf binnen Sekunden das Samowar und mein Aufräumen dauert danach doppelt lange wie die Show selber. Wahnsinn, wie die abfeiern.

Dirty Ausklang

Tanzen am Strand! Barfuss im Sand. Treibende Electro-Beats. Bier in der Hand. Ein kleiner Traum geht in Erfüllung. Artlake sei Dank! Klingt nach einem recht entsprechendem Ende eines ersten Tages mit permanenten Überfällen an Skurrilem, Absurdem und natürlich toller Musik. Aber nix da, denn die Dörthe-Becker-Stage aka Dirty Becker lockte uns nochmal zur Wetterspitze hoch. Erneut Barfuss tanzend im Geäst am Anschlag der Nacht, richtete ich mich völlig nach den Electro-Beats meiner Dörthe aus. Herrlich! Ich brauche es manchmal genauso. Augen zu, Beats im Ohr und allerlei vernebelte Gedanken! Und das mal vorweg, das war nicht das einzige Mal.

…Uns verbindet nur Distanz, voll und ganz, voll und ganz…

Zweiter Tag, Sturz in den Badesee, Sonne tanken und das alles noch vor dem Frühstück. Und mit dem dritten Kaffee richten sich dann auch meine Gedanken so langsam wieder am Tag aus, denn heute soll es musikalische Highlights geben, versprechen die Veranstalter. Ilgen-Nur, Gewalt, Yukno, Klaus Johann Grobe und Isolation Berlin stehen an. Und im nu zog ich hoffnungsvoll Luft wie Bobby Backe und Ernie Engel zusammen.

Punk und Pop und Electro

Mit „Ich weiß, ich muss schlafen, ich weiss es besser“ verspritzen die Avantgarde-Punker von Gewalt Lebensweisheiten ins Publikum und das nachdem Frau Ilgen-Nur mit meinem Lieblingstrümmerteilchen Paul Pötsch an der Gitarre in gewohnt lakonischer Art auffordert, ‚Cool‘ zu bleiben. Neuling Gewalt – mit zwei Frauen links und rechts an den Instrumenten – und einem Frontmann, der vermutlich irgendwann in den 80ern, in einem nur oberflächlich gereinigten Motelzimmer aus Nik P. und Alice Cooper hergestellt wurde, zerstörten jegliche Hoffnung, dass wir irgendwann die Welt noch ausgeglichen bekommen. Man möge es mir verzeihen, aber so eine verrückte Gestalt, herrlich unglaublich.

Aber zum Glück gibt es Klaus Johann, Klaus Johann Grobe aus der Schweiz. Diese Combo ist genau das gesittete Gegenbeispiel zur Gewalt. Na manchmal braucht es eben diesen kleinen Hoffnungsfunken. Wenn gleich mich mein Sommerhit von 2016 ‚Geschichten aus erster Hand‘ nicht mehr in den teuflischen Liebesbann von damals ziehen kann. Gut so. Aber hey halt, Yukno übersprungen. Rewind please!

Und da schmilzt mein Herz dahin. Was für eine mitreißende Vorstellung der Österreicher! Warum das so ist, keine Ahnung. Mein Herz geht auf, wie eine sich aus dem tiefsten Schlick empor kämpfende Seerose. Und dieses Lied ‚Distanz‚ läuft und läuft und läuft in meinen Kopf Schleife. Vielleicht ist das der Soundtrack meiner letzten Wochen und Monate. Wer weiß das schon so genau. Song + Leben –> verknüpft! Fertig!

Wenn der Himmel sich verliert und die Nacht uns penetriert
Sind wir allein, sind wir allein

Uns verbindet nur Distanz
Voll und ganz, voll und ganz

Mein heimlicher Artlake Aufhänger und Trigger für die nächste Zeit! Da müssen Isolation Berlin schon mächtig was aufbieten, um mich von diesem Trip wieder runter zu holen. Aber wo Bamborschke drauf steht, ist auch 100 Prozent Bamborschke drin. Eigentlich will ich die ganze Zeit auf die Bühne stürzen und ihn vom scheinbar unausweichlichen Selbstmord abhalten, wie ich es auch gern bei Ian Curtis gemacht hätte, aber keine Chance. Was für eine Inbrunst, was für extreme Emotionen und Energie von der Bühne herab wellieren. Beschreiben fällt mir schwer, schaut mal besser hier:

Und danach? Selfie-Time. Wie so ein Groupie. Warten auf Tobias. Und er erfüllte mir meinen Wunsch. Hey Digga, wir sind nun Double-Clipo! Darüber freue ich mich sehr und in einem kurzen Gespräch nimmt er mir meine oben beschriebene Angst. Durchatmen!

…Uns verbindet nur Distanz, voll und ganz, voll und ganz…

Es gibt noch soviel mehr an diesen Tagen, aber wie erwähnt, ist das in 24 Std. nicht alles zu schaffen. Es gab Gewitter, Zelte im Wasser, Lieblingsbarkeeper und -keeperinnen, Adorno im Birkenhain, Putinversteher, eine kämpfende Anwältin aus Jena und irgendwann in der Nacht noch Karaoke im Kino. Und da habe ich bestimmt die Hälfte vergessen. Seht es mir nach. Was ich aber definitiv nicht vergesse, ist der Auftritt von Kid Simius. Und Schuld daran ist nur der leise Sound vor der Bühne, was die Band veranlasst, die Fans doch auf die Bühne zu bitten. What???? Genau. Und ich musste mit hoch! Gefühlte 100 Leute auf der ächzenden Bühne zerfeierten jeden Song des Duos oder Trios? Keine Ahnung, das hab ich gar nicht richtig sehen können. Für einen Eindruck:

Sicherheitsbetontes Verbrüdern und Verschwestern war hier in manchen Momenten lebensnotwendig. Die Bühne knackte, vibrierte, gab kurz nach, hielt aber Stand! Alter, wenn die abgegangen wäre! Besser nicht daran denken. Und danach? Danach war die Nacht noch länger und tiefer als all die Nächte zuvor!

Fazit vielleicht? Ihr müsst dahin, gleich nächste Jahr, nehmt alle eure Freunde mit, feiert ab und wir treffen uns irgendwann an der Litfaßsäule in der Mitte vom Gelände. Ach ne, die war glaube ich zum Schluss – wie ich – völlig zerfeiert! Ja dann weiß ich auch nicht.

…Uns verbindet nur Distanz, voll und ganz, voll und ganz…

2 Gedanken zu „Artlake Festival – Von Zeitspalten, Avantgarde Punk und nötiger Distanz

  1. Danke für diesen tollen, persönlichen Bericht von dir!! Ich war dieses Jahr zum ersten Mal auf dem Artlake Festival und total begeistert! Du beschreibst das alles wirklich sehr gut, ich habe sehr ähnliche Eindrücke gesammelt…
    Donnerstag Nacht bzw. am Freitag in den frühen Morgenstunden, bin zufällig nochmal auf dem Dörthe Becker Floor gelandet. Und bin geblieben, weil dort so schöner grooviger Electrosound gespielt wurde!! Ich wüsste so gerne den Namen von dem Duo, vielleicht kannst du mir da weiterhelfen!? Die beiden sahen aus wie aus einem 70er Jahre Film, einer hatte sehr lange Haare, der andere Schulterlange und hatte einen Schnauzbart? Würde die gerne nochmal hören…. LG

    1. Hey Jonna, gerade erst gelesen, sorry dafür. Leider kann ich dir mit dem Name des Duos nicht weiterhelfen. Aber wir haben bestimmt zusammen zum gleichen Sound getanzt, ich war zu der Zeit auch oben. 😉 Und für mich war es auch das erste Mal auf dem Artlake. Ich bin sicher nächstes Jahr wieder am Start, es war wirklich ein ganz aussergewöhnliches Festival.

      Und danke dir für das Lob. Es freut mich sehr. Manchmal schüttet man sein Herz aus und kaum jemand versteht das, das ist dann sehr schade, umso mehr freu ich mich, dass jemand wie Du mir hier Feedback gibt. Danke nochmal!

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